Zu Gast im Future Classroom Lab in Brüssel

Das Thema Future Classroom Lab braucht zumindest einen kurzen Blick in die Vergangenheit: Die Suche nach Schul- und Lernkonzepten ist so alt wie die Schule selbst. Gerade in den letzten 100 Jahren – spätestens also seit der Gründung der ersten Waldorfschule – gab es immer wieder Ansätze, alte Muster aufzubrechen. Einige Ziele und Ansätze:

  • den statischen Frontalunterricht auflösen
  • feste Lehrpläne verwerfen zugunsten individuellen Lernens
  • eine menschengerechte Schule statt des schulgerechten Menschen
  • Lebenspraxis und Fähigkeiten erwerben
  • oder auch körperliche und geistige Beweglichkeit miteinander verbinden.

In den vergangenen 15 Jahren hat unsere Welt im Zuge der Digitalisierung gewaltige und eruptive Veränderungen erlebt. Wirtschaft, Gesellschaft, Arbeitswelt haben sich immer wieder auf den Kopf gestellt – und wieder zurück auf die Füße. Und wieder von vorne…

Corona hat gnadenlos die Schwachstellen von Schulen aufgedeckt

Kaum geändert hat sich in den meisten Ländern der Welt allerdings die Institution Schule. Zu träge ist oftmals der große Tanker Bildungswesen. Politik und Verwaltung verschließen seit einer gefühlten Ewigkeit die Augen davor, wie Schulen und Lehrpläne Jahr für Jahr den Anschluss an die Lebensrealität verlieren. Besonders schmerzhaft haben dies Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrerinnen und Lehrer seit Beginn der Corona-Pandemie erfahren. Ratlose Schulministerien, hilflose Kollegien, alleingelassene Familien: So sah über Monate der Schulalltag in hoch entwickelten Industrieländern aus.

Während nun seit dem Jahr 2020 händeringend nach Lösungen für eine zukunftssichere Schule gesucht wird, rücken längst vorhandene, innovative Lösungen in den Fokus, die schon seit Jahren bestehen – in der Breite bislang aber kaum Beachtung gefunden haben. Ein Beispiel stellen wir hier vor.

Einfach mal neu und zeitgemäß gedacht: das Future Classroom Lab

Das Future Classroom Lab (FCL) ist ein Projekt vom European Schoolnet – einem Netzwerk aus europäischen Bildungsministerien (gegründet 1997). Länder wie Frankreich, Spanien oder Norwegen und Schweden beteiligen sich längst aktiv daran. Andere (wie Deutschland, Georgien, Rumänien) halten sich nach wie vor zurück und verharren bislang im so genannten Beobachterstatus.

Ziel des Non-Profit-Netzwerks ist es, innovative Lern- und Lehransätze zu identifizieren. Auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie Zahlen und Fakten, wie es in Europas Schulen zugeht. Darüber hinaus geht es um die Unterstützung von Schulen und deren Kollegien, ums Netzwerken von Schulen untereinander. Und um die Kooperation der Institution Schule mit den Innovationstreibern unserer Gegenwart: den Industrie- und Technologiepartnern.

Pädagogik, Technologie und Design neu überdenken

Mit dem Future Class Room steht bereits seit 2012 in Brüssel ein konkreter Ansatz zur Verfügung, der Schulen dabei unterstützen will, die Rolle von Pädagogik, Technologie und Raumdesign neu zu denken. Das Konzept ist in sechs Lernzonen aufgeteilt. Die Besucher können hier direkt einen ganz neuen Entwurf fürs Lernen im 21. Jahrhundert erleben. Es geht um Fähigkeiten und Rollen von Schülern und Lehrern, um Lernstile, um die Gestaltung der Lernumgebung, um aktuelle und aufkommende Technologien und gesellschaftliche Trends. Um alles, was die Bildung beeinflusst.

Future Classroom Lab: die sechs Lernzonen

Das Future Classroom Lab besteht aus sechs verschiedenen Lernzonen. Jeder Raum hat seine ganz eigene Funktion und soll Schülerinnen und Schüler in allen möglichen Arten des Lernens optimal fördern. Herausforderung, Teamarbeit, Eingebundenheit sind Stichworte, die jedem einen bestmöglichen Lernerfolg ermöglichen sollen – und außerdem noch Spaß machen.

Raum 1: Investigate / Entdecken

Dieser Klassenraum ermöglicht Kindern und Jugendlichen, Entdecker zu sein. Mit Unterstützung der Lehrerenden werden sie zu aktiven Unterrichts-Teilnehmern: In der Investigate-Zone geht es darum, kritisches Denken zu entwickeln (und zu verbessern). Unterstützt durch flexible Möbel, mit denen sich flugs immer wieder Lernsituationen von der Einzelarbeit bis zum größeren Team schaffen lassen. Digitale Werkzeuge liefern die nötigen Informationen und Daten und unterstützen die Lernenden bei der Analyse.

Darum geht es in der Investigate-Zone:

  • Entwicklung des kritischen Denkens: hochwertige Informationen finden, einordnen, verwalten
  • Entwicklung von Problemlösungsfähigkeiten: Aufgaben meistern, Stärken fördern, Potenziale entwickeln
  • aktives Forschen: über die Recherche mit verschiedenen Medien (Text, Video, Audio, Bilder, Ergebnisse von Experimenten, Zahlen usw.) ins Thema eintauchen, Vertiefung durch Experimente, Diskussionen, Umfragen und mehr
  • fächerübergreifende Projekte: Problemstellungen aus verschiedenen Perspektiven analysieren und verstehen
  • Lernerfolge durch Erforschen: Modelle konstruieren, Ideen testen und die Ergebnisse selbst auswerten – mit Hilfe digitaler Technologien.

Raum 2: Create / Erschaffen

In diesem Klassenzimmer können Schüler*innen ihre eigene Arbeit planen, gestalten und produzieren. Wie wäre es mit einer Multimedia-Produktion oder einer Präsentation? Die Create-Zone geht übers einfache Wiederholung der bislang gewonnen Informationen hinaus. Gefragt sind Interpretation, Analyse, Teamarbeit und Bewertung.

Darum geht es in der Create-Zone:

  • Neue Inhalte erstellen: die eigene Vorstellungskraft nutzen und innovativ sein
  • Soft Skills entwickeln durch projektbasierte Arbeit: Präsentation, Planung und Teamwork
  • Unabhängigkeit und Eigenverantwortung: Förderung des individuellen Engagements und der persönlichen Verantwortung bis hin zur Schülerfirma
  • Präsentation von Schülerarbeiten: Lernportfolios entwickeln, verschiedene Disziplinen miteinander verknüpfen, einen realen Kontext zum Unterricht herstellen.

Raum 3: Present / Präsentieren

In diesem Unterrichtsraum des Future Classroom Lab nutzen Schüler*innen andere Werkzeuge und Fähigkeiten als heute, wenn sie Arbeiten präsentieren und Feedback erhalten. Vom variablen Mobiliar für die mündliche Vortragssituation über die Präsentation mit Beamer oder die Abgabe im Stil eines Blogs oder Multimediaprojekten auf Bildschirmen. Für die gemeinsame Nutzung der Ergebnisse ist dieser Raum für interaktive Präsentationen gedacht. Nahezu automatisch machen sich Schüler*innen dabei mit Online-Ressourcen vertraut und erarbeiten Kompetenzen beim Thema eSafety.

Darum geht es in der Present-Zone:

  • Lernen zu teilen und zu kommunizieren: interessante Arbeiten mitreißend darstellen – vor Publikum oder auch online. Interaktion für Feedback und Lernprozess
  • Entwicklung von Feedback-Fähigkeiten: Zuhörer erlernen die Fähigkeit zur konstruktiven Kritik
  • Verschiedene Methoden des Austauschs erarbeiten: die passenden Werkzeuge für die Botschaft der Arbeit anwenden
  • Ergebnisse der gesamten Schule zur Verfügung stellen: physisch in der Bibliothek der Schule oder auch auf der eigenen Schulwebseite – genutzt von allen
  • Auseinandersetzung mit Urheberrechten: Welche Quellen nutze ich – was dürfen andere mit meinen Ergebnissen machen?

Raum 4: Interact / Interagieren

Dieser Bereich ist ganz auf Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden ausgelegt. Grundlage dafür sind sowohl das extrem variable Mobiliar als auch die technische Ausstattung wie interaktive Whiteboards, Tablets oder die schülereigenen Smartphones.

Darum geht es in der Interact-Zone:

  • Umgestaltung des physischen Raums: immer neue Settings (Hufeisenform, kleine oder größere Gruppen) statt des statischen Klassenzimmers
  • Aktives Lernen statt zuschauen: der Lehrer als Unterstützer, die Lernenden als Akteure
  • Interaktion mit dem Lerninhalt: Reaktionen jedes Einzelnen direkt auf interaktiven Whiteboards
  • 1:1-Computing für ein motiviertes Klassenzimmer: Netbooks, Tablets oder Smartphones für ein besseres personalisierteres Lernen und mehr Motivation
  • Kommunikation statt Aufsicht: Nicht nur Classroom Management durch Software, sondern direkte Kollaboration und aktive Zusammenarbeit

Raum 5: Exchange / Austausch

Schwerpunkte in diesem Bereich des Future Classroom Lab sind Teamarbeit beim Untersuchen, Erstellen und Präsentieren, Eigenverantwortung, geteilte Verantwortung und Entscheidungsprozesse innerhalb der Gruppe. Moderne IT (Interaktive Whiteboards, Kollaborationstisch mit Projektor, Mind-Mapping-Software, Brainstorming-Tafel/Wand) sorgt dabei für eine verstärkte Kommunikation und mehr Zusammenarbeit: persönlich und synchron ebenso wie online und asynchron.

Darum geht es in der Exchange-Zone:

  • Zusammenarbeit unter Gleichaltrigen: Kommunikation und Kollaboration lernen – auch altersübergreifend für mehr soziale Kompetenz
  • Inklusion durch Teamarbeit erlangen: gegenseitige Rücksichtnahme und Unterstützung bei unterschiedlichen Begabungen
  • Lernen durch Spielen: digitale Spiele und Simulationen als Anreiz für mehr Lernspaß
  • Online zusammenarbeiten: Online-Lernumgebung und betreute soziale Netzwerke zum Austausch bei außerschulischen Aufgaben
  • Ideen fliegen lassen: Brainstorming, natürliche Kreativität und Fantasie als Gruppenaktivität

Raum 6: Develop / Entwickeln

Die Develop-Zone schließlich gibt Raum für informelles Lernen und Selbstreflexion. Hier können Schüler*innen Aufgaben unabhängig und in ihrem eigenen Tempo erledigen. Ebenso können sie auch informell lernen und sich auf ihre eigenen Interessen außerhalb des formalen Unterrichts in der Schule und zu Hause konzentrieren. Stichworte: selbstgesteuertes Lernen und Metakognition. Damit ermutigt die Schule zu echtem lebenslangem Lernen, indem sie informelles Lernen anerkennt und wertschätzt. Eingesetzt werden informelle, flexible Möbel, Arbeitsecken, tragbare Geräte, Audiogeräte und Kopfhörer, Bücher und E-Books sowie Spiele (analog und digital).

Darum geht es in der Develop-Zone:

  • Ermöglichen einer informellen Umgebung: Wohlfühlen in einem eher häuslich geprägten entspannten Umfeld
  • Unterstützung der Motivation und des Selbstausdrucks: personalisiertes Lernen, maßgeschneiderte Lernaktivitäten, Freiheit bei der Auswahl von Untersuchungsthemen lassen, Entwicklung von persönlichen Lernportfolios
  • Verwendung von persönlichen Lerngeräten: Netbooks und Tablets als Zugang zu Online-Ressourcen und virtuellen Lernumgebungen
  • Einsatz von Methoden zur Anerkennung informellen Lernens: Lerntagebücher und Portfolios zur Dokumentation
  • Umgekehrtes Klassenzimmer: gut strukturiertes unabhängiges Lernen zu Hause, konkrete Projektarbeit und Kollaboration in der Schule
  • Spielerisches Lernen: Lernspiele für Pausen und nach Unterrichtsende
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