„Zehn Monate nach Ausbruch der Corona-Krise steht noch immer kein taugliches Stabilisierungsinstrument für betroffene Unternehmen und Selbstständige zur Verfügung“, kritisierte IfW-Kiel-Präsident Gabriel Felbermayr. Die Politik springe unsystematisch zwischen höchst unterschiedlichen Modellen hin und her. „Ergebnis ist, dass die Hilfe häufig bei den Unternehmen gar nicht oder nicht in angemessener Höhe ankommt – mal ist sie zu niedrig, mal zu hoch“, sagte Felbermayr. Eigentlich wettbewerbsfähige Unternehmen überleben die Krise nicht, andere werden mit Staatsgeld am Leben erhalten, obwohl sie auch ohne Krise wenig Chancen gehabt hätten. Im Ergebnis fallen die gesamtwirtschaftlichen Kosten der Corona-Pandemie höher aus als nötig, langfristige Schäden für die Wirtschaftsstruktur drohen.
Felbermayr und IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths schlagen deshalb mit dem heute veröffentlichten „Kieler Modell für betriebliche Stabilisierungshilfen“ einen Mechanismus vor, der über Branchen und Unternehmenstypen hinweg einheitlich anwendbar ist und außer dem Kurzarbeitergeld alle bisherigen Hilfsprogramme ersetzen würde. Im Zentrum des Modells steht, den durch die Krise ausgelösten Einbruch der Betriebsergebnisse abzufedern. Betriebsergebnisse messen den Umsatz abzüglich diverser Kosten, nicht aber der Zinsen. Sie sind für den Erhalt des Eigenkapitals der Unternehmen entscheidend. Werden sie stabilisiert, gewinnen Unternehmen Planungssicherheit und andere Kriseninstrumente (z.B. Kurzarbeitergeld) werden wirksamer. Das sichert Arbeitsplätze und festigt die Grundlagen für eine schnelle Erholung nach der Krise.
Betriebsergebnis der Branche als Messlatte
Nach dem Kieler Modell bekommen Unternehmen, auch Einzelunternehmer, den Rückgang der Betriebsergebnisse im Vergleich zum Vorjahr größtenteils ersetzt, zum Beispiel zu 85 Prozent. Jedoch orientiert sich das Ausmaß der Zuschüsse nicht am Rückgang bei dem einzelnen Unternehmen, sondern an jenem der gesamten Branche in einer Region. Damit bleiben Anreize erhalten, besser als der Durchschnitt zu wirtschaften, also etwa nach neuen Umsatzquellen zu suchen. Messlatte sind die Betriebsergebnisse der Branche in einer Region im Krisenjahr im Vergleich zum Vorjahr.
Ein solches Modell eines einheitlichen, branchenübergreifenden Stabilisierungsmechanismus stellt sicher, dass Unternehmen unabhängig von Größe, Finanzierungsstruktur und Rechtsform nach tatsächlicher Krisenbetroffenheit unterstützt werden. Es setzt an Kriterien an, die leicht feststellbar und von Unternehmen nicht im Nachhinein manipulierbar sind, so dass Missbrauch vorgebeugt wird. Anreize bleiben erhalten, selbst an der Bewältigung der Krise zu arbeiten. Der Staat sichert damit – flankiert durch das Kurzarbeitergeld – den Erhalt von Arbeitsplätzen in Unternehmen und bewahrt funktionsfähige Wirtschaftsstrukturen in der Krise vor dem Aus. Im Vergleich ist vor allem der aktuell angekündigte Umsatzausgleich für ausgewählte Branchen (Novemberhilfe) viel weniger zielführend und führt teils zu einer Überkompensation, während andere Betroffene leer ausgehen.
„Das Modell ist zielgenauer, setzt bessere Anreize, ist weniger missbrauchsanfällig und braucht nur überschaubar höhere staatliche Mittel, als die für die bisherigen Modelle veranschlagten“, sagte Kooths. „Gesamtwirtschaftlich wären die Kosten der Krise damit geringer, auch weil damit überflüssige Maßnahmen wie die temporäre Mehrwertsteuersenkung gar nicht mehr in Betracht kämen.“
Gesamtwirtschaftliche Kosten geringer
Die Kieler Forscher haben ausgerechnet, dass die Kosten des Modells für die öffentlichen Haushalte bei einer Ersatzrate von 85 Prozent und ohne Inflationsausgleich im Jahr 2020 rund 74,9 Mrd. Euro betragen hätten. Im Jahr 2021 käme es zu keinen weiteren Leistungen. Legt man einen Inflationsausgleich von 2 Prozent zugrunde, so erhöht sich der Mitteleinsatz auf 85,1 Mrd. Euro (2020) und 19,6 Mrd. Euro (2021). Weil das Modell alle übrigen Unternehmenshilfen (z. B. Soforthilfe, Überbrückungshilfen) ersetzt, stehen dem wegfallende Hilfen von 55,9 Mrd. Euro (2020) und 8,4 Mrd. Euro (2021) gegenüber. Für die beiden Krisenjahre insgesamt käme es somit zu einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte um 10,5 Mrd. Euro (ohne Inflationsausgleich) und 40,3 Mrd. Euro (mit Inflationsausgleich). Diese Bruttobetrachtung berücksichtigt allerdings nicht, dass die Mittel versteuert werden müssen, so dass sich die Nettobelastung der öffentlichen Haushalte entsprechend mindert. Die bessere Stabilisierungswirkung, eine Bagatellklausel und die Anreizeffekte ermäßigen die fiskalischen Kosten noch weiter.
„Deutschland braucht einen solchen Stabilisierungsmechanismus für gesamtwirtschaftliche Notlagen, um für die nächste Großkrise gewappnet zu sein. Je mehr die Coronahilfen bereits kurzfristig in Richtung des Kieler Modells umgestaltet werden, desto besser. Rückwirkend kann es zudem einem fairen Lastenausgleich dienen, um die jetzt durch unsystematische Hilfen verursachten Verwerfungen zu bereinigen“, sagte Kooths.
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