„Fachkräftemangel bestimmt das neue Jahr“

Im neuen Jahr wird der Fachkräftemangel nach Einschätzung der IHK Nord Westfalen zum bestimmenden Thema im Alltag der meisten Unternehmen: „Spätestens, wenn die fünfte Corona-Welle im Frühjahr ausgelaufen ist und die Lieferengpässe einigermaßen beseitigt sind, wird sich die Lage zuspitzen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel. Dazu verweist er nicht nur auf den Auftragsstau, der in wichtigen Industriebranchen herrscht und erst einmal abgebaut werden muss. „Der Umbau zu einer nachhaltigen wie auch digitalisierten Wirtschaft erhöht den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften nochmals spürbar“, erinnert Jaeckel an zwei „Mammutaufgaben, die wir bewältigen müssen“.

Bereits 2021 hatte die IHK einen historischen Höchstwert bei ihrem Fachkräftebarometer registriert. Noch nie hatten so viele Unternehmen bei den regelmäßigen Umfragen der IHK den Fachkräftemangel als Risiko für die weitere Entwicklung des eigenen Unternehmens eingestuft. Über 70 Prozent sahen sich bei der Umfrage im Herbst betroffen. Bei über 60 Prozent der Betriebe blieben deshalb offene Stellen längerfristig unbesetzt. Für Jaeckel ist es keine Überraschung, dass der Fachkräftemangel als größtes Konjunkturrisiko bewertet wird. Denn sogar im ersten Corona-Jahr war die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im IHK-Bezirk gestiegen, von 942.000 auf 948.000. Das Plus von 0,6 Prozent liegt erneut über dem Landesdurchschnitt (0,3 Prozent). Auch im ersten Quartal 2021 (aktuell verfügbarer Wert) gab es mit 0,5 Prozent wieder einen Zuwachs im IHK-Bezirk Nord Westfalen.

Dass die Probleme für die Unternehmen und die Region schon kurzfristig noch weitaus größer werden, ist absehbar. „In den nächsten Jahren kommen die geburtenstarken Jahrgänge ins Rentenalter“, erläutert Jaeckel. Fast ein Viertel der Arbeitnehmer im IHK-Bezirk Nord Westfalen ist mittlerweile 55 Jahre und älter. Darunter sind vor allem Beschäftigte mit einer betrieblichen Ausbildung, die einen Anteil von rund 70 Prozent an den insgesamt rund 950.000 Beschäftigten haben.

Entsprechend suchen die Unternehmen am häufigsten Absolventen der betrieblichen Aus- und Weiterbildung. Jaeckel freut sich deshalb zwar, dass die Zahl der neuen Auszubildenden im IHK-Bezirk Nord Westfalen stärker gewachsen ist als im Landes- und Bundesdurchschnitt. Anfang Dezember lag sie zwei Prozent höher als zum gleichen Zeitpunkt 2020. Doch blieb sie mit 8.688 neuen Verträgen weiterhin deutlich unter dem Vergleichswert von 2019 (9.656). „Diese Differenz von rund 1.000 Auszubildenden wird die bereits beträchtliche Fachkräftelücke noch weiter spürbar vergrößern“, verdeutlicht der IHK-Hauptgeschäftsführer. Laut IHK-Fachkräftemonitor fehlen 2035 bereits bis zu 142.000 Fachkräfte im Münsterland (96.000) und in der Emscher-Lippe-Region (46.000).

Mehr Ausbildungsplätze als Bewerbungen

„Die Unternehmen würden ja mehr Auszubildende einstellen, wenn sie denn mehr oder überhaupt ausreichend qualifizierte Bewerbungen erhalten würden“, skizziert der IHK-Hauptgeschäftsführer die Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt. Zwar hätten die Unternehmen in der Krise etwas weniger Ausbildungsplätze angeboten. Doch fast überall im IHK-Bezirk gab es auch im vergangenen Jahr unter dem Strich erheblich mehr freie Ausbildungsplätze als junge Menschen, die noch auf der Suche nach einer Ausbildung waren.

Dass die Unternehmen alles daransetzen, Fachkräfte aus- und weiterzubilden, sieht der IHK-Hauptgeschäftsführer schon an der starken Beteiligung an den IHK-Angeboten zur Unterstützung der Berufsorientierung in der Schule. Im vergangenen Jahr stellten die Betriebe für das IHK-Projekt „Ausbildungsbotschafter“ beispielsweise 825 Auszubildende für 592 Einsätze bereit, um Schülerinnen und Schüler „auf Augenhöhe“ über betriebliche Ausbildungsberufe zu informieren. Das waren rund 22 Prozent mehr Botschafter als im Vorjahr. Während es zu Beginn des Jahres ausschließlich digitale Einsätze der Ausbildungsbotschafter gab (321), konnten nach den Sommerferien alle Einsätze in Präsenz stattfinden (271).

Zehn Jahre Partnerschaft Schule-Betrieb

Als effektives Instrument, um Schülerinnen und Schüler frühzeitig für eine betriebliche Ausbildung zu interessieren, hat sich aus Jaeckels Sicht zudem das IHK-Projekt „Partnerschaft Schule – Betrieb“ bewährt, das im vergangenen Jahr Jubiläum feierte und seit zehn Jahren erfolgreich läuft. 578 Partnerschaften hat die IHK inzwischen dadurch initiiert. Selbst im zweiten Pandemiejahr kamen 20 neue Partnerschaften dazu. Schon über 70 Prozent der weiterführenden Schulen im Regierungsbezirk Münster, der deckungsgleich ist mit dem IHK-Bezirk, nutzen die Partnerschaften, um die Berufsorientierung für die Schülerinnen und Schüler möglichst praxisnah unter Einbindung von Unternehmen zu gestalten. Die Unternehmen wiederum haben die Chance, sich als Ausbildungsbetrieb zu präsentieren und „bekommen so mehr Bewerbungen aus den Partnerschulen“, berichtet Jaeckel.

Dennoch ist dem Hauptgeschäftsführer klar: „Alle Beteiligten müssen ihre Anstrengungen weiter erhöhen, um die berufliche Bildung noch attraktiver zu gestalten und mehr junge Menschen für eine betriebliche Ausbildung zu begeistern.“ Insofern freut er sich über die Ankündigung der neuen Bundesregierung, eine Exzellenzinitiative Berufliche Bildung auf den Weg zu bringen. „Das ist wichtig“, weiß Jaeckel, denn 2021 war vor allem die Zahl der Ausbildungsbewerbungen von Schülerinnen und Schülern mit Hochschulreife gesunken. Ihnen sei oft nicht klar, wie gut ihre Karrierechancen mit einer Ausbildung und einer anschließenden höheren Berufsbildung sind. Wichtig ist Jaeckel zudem, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März zwei Jahre in Kraft ist, „noch stärker für die Arbeitskräftegewinnung im Ausland zu nutzen“. Hier werde die IHK sich noch stärker einbringen, um die Beteiligungschancen kleinerer und mittlerer Betriebe zu erhöhen.

Über Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen

Die IHK Nord Westfalen ist mit rund 150.000 Mitgliedsunternehmen eine der größten Industrie- und Handelskammern Deutschlands. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts fördert sie die gewerbliche Wirtschaft in der Emscher-Lippe-Region und im Münsterland. Sie vertritt deren Gesamtinteresse gegenüber dem Staat und der Politik, engagiert sich für optimale Standortbedingungen im deutschen und internationalen Wettbewerb und nimmt anstelle des Staates hoheitliche Aufgaben wahr.

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