Dass das geltende Arbeitsgesetz überarbeitet werden muss, ist unbestritten: Dessen Grundlagen gehen auf erste Hälfte des letzten Jahrhunderts zurück, beziehen sich auf den industriellen Produktionsprozess und werden den Bedürfnissen des modernen Arbeitsverständnisses nicht mehr gerecht. Menschen wollen und können heute flexibler und mobiler arbeiten – und die Digitalisierung macht dies, vor allem in Wissensberufen wie der ICT-Branche, problemlos möglich.
Swico kämpft für familienfreundlichere und selbstbestimmtere Strukturen
Gerade die Bewältigung der Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass seit Jahren gelebte Arbeitszeitmodelle endlich legalisiert werden. Denn einiges, was sich jetzt wie selbstverständlich etabliert hat, ist nach heutigem Recht illegal – entspricht aber einem Bedürfnis:
- Beispiel 1:
Ein Vater holt drei Mal in der Woche am Nachmittag die Kinder in der Kita ab, die ganze Familie isst anschliessend gemeinsam, er bringt die Kinder ins Bett. Abends erledigt er seine restlichen E-Mails bis 23 Uhr und nimmt am Folgetag eine Videokonferenz um 07:30 Uhr wahr. Damit verstösst er gegen die geltende Ruhezeitenregelung.
- Beispiel 2:
Frau Wanners Projekt sollte am Freitag abgeschlossen sein, dafür nimmt sie längere Arbeitstage in Kauf. Erst recht, weil für die Folgewoche schönes Wetter angekündigt ist – da gönnt sie sich zwei Wandernachmittage. Damit verstösst sie gegen die gesetzliche Wochenhöchst-Arbeitszeit, da diese keine Einteilungsflexibilität gewährt.
Bedürfnis kommt auch von Seiten der Arbeitgebenden
Insbesondere Unternehmen des Dienstleistungssektors vermögen unter den geltenden Bestimmungen den Anforderungen des Marktes bei Spitzenbelastungen (Projekten, Hochsaison, etc.) nicht mehr gerecht zu werden.
Mit der parlamentarischen Initiative 16.414 Graber «Teilflexibilisierung des Arbeitsgesetzes und Erhalt bewährter Arbeitszeitmodelle» hätte die gewünschte und notwendige Flexibilisierung der Arbeitszeit umgesetzt werden sollen – ein Anliegen, welches Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden zugutekäme und das Swico nachdrücklich unterstützt.
Nur: Der Vorstoss ist seit fünf Jahren hängig, wobei zuletzt die Diskussionen auf Wunsch der Sozialpartner vom Gesetzesweg weg auf die Verordnungsebene (Verordnung 2 Arbeitsgesetz, ArGV2) verschoben wurde – wohl auch mit dem Hintergedanken, dass bei einer Lösung auf dem Verordnungsweg kein Referendumsdruck bestünde.
Swico lehnt die Vernehmlassungsvorlage in weiten Teilen ab und fordert Korrekturen
Die Vernehmlassungsvorlage erfüllt zentrale Anliegen der PaIV Graber nicht, da durch widersprüchliche Regelungen keine echte Selbstbestimmung in der Ausgestaltung der Wochenarbeitszeit über die starre Arbeitszeitanordnung hinaus erreicht werden kann. Zudem ist absolut nicht nachvollziehbar, wieso ausgerechnet die ICT-Branche als zentraler Wissensberuf und Treiber der Wirtschaft, von der Verordnungsrevision ausgeschlossen werden soll:
Schweizer ICT-Unternehmen müssen einen Spielraum haben, um sich als möglichst attraktive Arbeitgebende positionieren zu können. Das ICT-Berufsfeld ist mit einem akuten und zunehmenden Fachkräftemangel konfrontiert. Zudem hat sich die Organisation der Arbeit in der ICT-Branche aufgrund der technologischen Entwicklung in den letzten Jahren stark verändert: Es geht um selbstständiges, kreatives und mobiles Arbeiten zu Gunsten der Arbeitnehmenden und in keiner Weise um die Herabsetzung geltender arbeitsrechtlicher Standards.
Ein weiteres, noch nicht erfülltes Hauptanliegen ist, dass Arbeitnehmende ihre ausserbetriebliche Arbeitszeit frei auf sieben Tage in der Woche verteilen können müssen: Zuhause sollte mehr Telearbeit möglich sein. Der letzte Hauptbeanstandungspunkt betriff die selbstbestimmte Unterbrechung der Ruhezeit durch den Arbeitnehmer: Verbringt man nach dem Büro am Abend einige Stunden Zeit mit der Familie und erledigt danach E-Mailkorrespondenz, so soll man die mit der Familie verbrachten Stunden als Ruhezeit abrechnen können.
Besonders stossend ist in diesem Zusammenhang, dass der Bund für sich Privilegien in Anspruch nimmt, die er anderen Sektoren der Privatwirtschaft verweigert:
So profitieren Mitarbeitende der Bundesverwaltung seit Sommer 2021 für über die Hälfte der Lohnklassen von sogenannter Vertrauensarbeitszeit – arbeiten also selbstbestimmt, ohne Arbeitszeiterfassung und ohne Kontrollierbarkeit. Vorstösse in der aktuellen Herbstsession befassen sich zudem mit der grundsätzlichen Einführung eines Home-Office-Rechts für Bundesangestellte. Die von der Privatwirtschaft geforderte Flexibilisierung betrifft laut Bund hingegen gerade mal 2 % der Arbeitnehmenden aufgrund der Eingrenzung auf bestimmte Branchen und Kriterien – Bruttoverdienst mindestens CHF 120’000 oder höherer Bildungsabschluss.
Ohne Verbesserung bei der Verordnungslösung wird Swico den Weg über die Gesetzesrevision wiederaufnehmen.
Wir sind überzeugt, dass selbstbestimmtes Arbeiten in der Bevölkerung ein echtes Bedürfnis ist. Arbeitnehmende und Arbeitgebende erwarten zu Recht, dass sich das Recht den heutigen Realitäten anpasst und dass ihnen attraktive Abeitszeitmodelle zur Verfügung stehen, die zur Verbesserung von Privat- und Berufsleben beitragen. Insbesondere auch, da eine Flexibilisierung so oder so immer auf einer freiwilligen Vereinbarung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnemhenden basiert.
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